Ein Steppenbrand der klugen Gedanken
Eine hoffnungsvolle Analyse von Koppino
Der Gipfel ist vorbei und welche Lehren kann man ziehen? Zunächst wohl noch keine. Die unterschiedlichsten Medien bewerten das, was war, aus den unterschiedlichsten Standpunkten. Fakt ist aber, dass der Veranstalter den Protest als „Erfolg“ verbucht, nicht nur weil 80.000 bei der Großdemo waren und es „recht friedlich“ geblieben ist, sondern weil man glaubt, die Bevölkerung erreicht zu haben.
Laut Berichten der Zeitung Freitag (Ausgabe 23) seien 70% der Bevölkerung für ein generelles G8-Demonstrationsverbot. Dies ist kein Wunder wenn man sieht, wie und was die Massenmedien berichtet haben. Wer auf http://g8-tv.org den Gipfel in der Fernseh-Version der Gipfel-Kritiker verfolgt hat, bekam ein anderes Bild.
Diskussionen über mögliche Provokateure in den Reihen der Polizei sind das, was zur Zeit gezwungenermaßen auch die Mainstreammedien beschäftigt. Hierzu bezieht Daniela Dahn, Mitherausgeberin der Freitag in ihrem Artikel „Mit offenem Visier“ ganz klar Stellung.
„Die NPD konnte nicht verboten werden, weil der Verfassungsschutz unter ihren Vorstandsmitgliedern 30V-Leute eingeschleust hatte. Darunter Jungs, die heftig mit dem Anzetteln von Straftaten beschäftigt waren.“
Einen Abschnitt darunter fährt sie fort:
“Erinnert sich noch jemand an die als “Krefelder Krawalle” in die Demonstrationsgeschichte der Bundesrepublik eingegangenen Ereignisse vom Juni 1983? Bei der 300-Jahr-Feier “Deutsche in Amerika”, zu der auch der damalige US-Vizepräsident Bush angereist war, gehörte zu den eifrigsten Steinewerfern Peter Troeber, der durch ein Versehen verhaftet und als Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnt wurde. Selbstredend beteuerte der damalige Innensenator Heinrich Lummer, Troeber habe keinen Dienstauftrag gehabt, gewalttätig zu sein. Er sollte nur beobachten.”
So muss man zugeben, dass die Proteste wohl mit einem blauen Auge davon kamen. Dabei muss ein blaues Auge nicht unbedingt schlecht sein, oder? Natürlich kann es dazu führen, dass man sich zurückzieht, sich verkriecht. Es kann aber auch zu einer Jetzt-Erst-Recht-Einstellung führen und dazu, dass das Veranstalter-Bündnis noch mehr zusammen wächst und sich weiter vernetzt. Aus meiner Sicht hat sich die soziale Bewegung in Deutschland koordiniert und nun kommt es auf die NÄCHSTEN SCHRITTE an. Die bunten, christlichen, linken und „schwarzen“ Gruppen müssen ihre Bündnisse halten, wenn sich etwas bewegen soll, wenn sie etwas bewegen wollen.
Jede Gruppe darf/muss/soll weiter an ihren zentralen Themen arbeiten, denn das zeichnet sie ja aus. Doch der Dialog ist wichtig, um gemeinsam etwas zu bewegen.
Gemeinsam brachte man 80.000 Menschen nach Rostock. An einem zentralen Punkt, zu einem Zeitpunkt außerhalb der Rockfestival- und Kirchentagssaison, könnte man mit so einem breiten und bunten Bewegungsbündnis mehr als doppelt so viele Menschen auf die Strasse holen. Themen stehen genug zur Debatte. Egal ob: „Eine andere Welt ist möglich!“ oder worauf auch immer man sich einigen mag, das Ziel dürfte klar sein: Gegen die politische Lehre und Praxis, die sich seit einigen Jahren immer beiter macht! Kein Sozialabbau, keine Privatisierungen, gegen Sharehold-Value, für eine solare, solidarische und soziale (vielleicht sogar nachhaltige) Politik.
Auch wenn man den Kapitalismus nicht so leicht abschaffen kann, wie von vielen Gruppen offen gefordert (Make Capitalism History!), muss es doch möglich sein - anfänglich zumindest einmal - ihn einzudämmen oder einzuzäunen.
„Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen – eine radikale Kapitalismuskritik“ von Elmar Altvater beschreibt einen möglichen Weg. Nur „ein äußerer Stoß von extremer Heftigkeit im Verein mit einer glaubwürdigen Alternative könnte so einen Zusammenbruch bewirken…“, so zitiert Altvater den französischen Historiker Braudel, der sich nicht auf einen „endogenen Verfall“ des Kapitalismus einlassen will.
Zum heraufbeschworenen „Ende der Geschichte“ und dem „TINA-Syndrom“ oder „TINA-Dogma“ (There is no Alternative) gibt sich der 69-jährige Professor für Politikwissenschaft Altvater optimistisch:
„Doch müssen wir so destruktiv, unmenschlich und pessimistisch nicht sein. Die Geschichte geht weiter, die Zukunft ist prinzipiell offen, Kritik macht Sinn, Alternativen können entwickelt werden. Denn die Zukunftsoffenheit bedeutet auch, dass die Zukunft einer nicht-kapitalistischen Welt gehören kann.“
Unsere Politik, die sich der „verführerischen Idee des Wachstums“ (Altvater) verschreibt, ist sicher leichter zu enttarnen als man glaubt. Zum Thema Wachstum fällt mir immer der Seerosenteich ein, in dem erst eine Seerose ist, dann zwei, dann vier, dann acht und so weiter, immer mehr Wachstum, bis die Sache - ihr könnt es euch vorstellen - in die Hose geht. Es liegt wohl in der Gier des Kapitalismus, wie ich finde, dass er ewiges Leben beansprucht.
Beschnuppert haben sich die alternativen Gruppen bereits und sind Beziehungen eingegangen. Doch keine Beziehungen, keine Menschengruppen ohne Konflikte. Die werden unweigerlich entstehen. Man wird sie gemeinsam durchgehen, eher durchleben müssen, und darf sich nicht abschrecken lassen. Die Streitpunkte müssen angepackt werden, gerade wenn sozialistische und kirchliche Gruppen sich begegnen. Solidarität meint auch, das man nicht immer gleicher Meinung sein muss, ähnliche Ziele verfolgt man bereits.
Es muss diesen Dialog geben, das breite Bündnis der sozialen Bewegung darf nicht einreißen und muss sich selber mehr und mehr ins Rollen bringen. Kritik von Seiten der Regierenden und ihrer Verlautbarungsorgane darf nicht blockieren, sondern muss entweder ignoriert oder als Rückenwind gesehen werden.
Denn geschickt versucht z.B. die Kanzlerin die Proteste zu ummerkeln und einzulullen, in dem sie sagt: „Ich begrüße, dass viele Menschen durch Aktionen und Protest ihr Interesse an einer gerechten, menschlichen Globalisierung deutlich machen.“
Wie erwähnt, die nächsten Schritte sind wichtig, sie spielen eine sehr entscheidende Rolle. Ich hoffe, dass sich alle Menschen innerhalb der Bewegung der Verantwortung und Pflicht bewusst sind, welches positive Feuer hier entfacht werden kann, damit sich endlich einmal kluge Gedanken wie Steppenbrände ausbreiten.
Weitere Leseempfehlungen
Kommentar von Sitting-Bull am 11. Juni um 09:16 Uhr
http://www.taz.de/dx/2020/06/09/a0082.1/text
Kommentar von WARUMISDASSO am 11. Juni um 12:13 Uhr
Komisch eine Stimme aus dem Konservativen Lager macht sich Gedanken über Verfassungsschutz und innere Sicherheit und kommt zu einem erstaunlichen Resumee:
In einer Werbebroschüre des Verfassungsschutzes - Demokratie - aber sicher! - heißt es: “Wer Baseballschläger oder Fäuste, Steine oder Molotowcocktails einsetzt, um sich Gehör zu verschaffen, unterdrückt die Handlungs- und Meinungsfreiheit des anderen.”
Stimmt! Nur wer Gesinnungsprüfung oder Berufsverbote, die Einschränkung der Informationsfreiheit durch- oder Zensur einsetzt, um Dritte von ihrem Recht auf freie politische Willensbildung und auf Meinungsäußerungsfreiheit zu berauben, Agent provocateurs und Denunzianten in nicht genehme oppositionelle Parteien einschleust und Dritte zu Straftaten animiert, handelt ebenso verwerflich!
Solange politische Opposition auf gewaltfreiem Wege ihren Beitrag zur politischen Meinungsbildung liefert, bedarf es in einem freiheitlichen Staat weder Berufsverbote noch Parteien- und Organisationsverbote noch geheimdienstlicher Überwachung.
Die BRD ist jedoch zu einem Gesinnungsstaat verkommen, der sich in einer tendenziösen und zensurischen Medienberichterstattung, in einer zunehmend einseitigen Gesetzgebung und Rechtsprechung widerspiegelt, durch die Aufhebung der Meinungsfreiheit gekennzeichnet ist und vor allem dadurch hervorsticht, daß aus Furcht vor Strafe öffentlich immer weniger konstruktive Kritik geleistet wird. Der Verfassungsschutz hat an dieser Entwicklung entscheidenden Einfluß gehabt.
ne is nich von mir , alles zitiert , ich schwör
Kommentar von Freund am 11. Juni um 12:48 Uhr
Kleiner Tipp: http://www.nordbruch.org/buecher/buch_verfassungsschutz.pdf
Kommentar von DaRockwilda am 11. Juni um 13:24 Uhr
Ich finde es auch sehr wichtig, die diversen Bewegungen unter einen Hut zu bekommen. Zielsetzungen gehen da schon deutlich auseinander.
Die Frage ist also, ob man Gruppen mit radikelereren Zielen wie zB Antinationalisten, Antikapitalisten uÄ zur friedlichen Zusammenarbeit mit gemäßigteren Gruppen bringen kann. Auf die Organisatoren der diversen Gruppen kommt da eine wichtige Aufgabe zu.
Kommentar von Sitting-Bull am 11. Juni um 14:38 Uhr
SOT:
Kommentar von Fahrenheit am 15. Juni um 21:21 Uhr
Bravo @Koppino!
Als Ergänzung möchte ich auf einen Artikel von Peter Bürger aufmerksam machen:
Kommentar von pony_huetchen am 15. Juni um 23:34 Uhr
@ Fahrenheit -
Sehr sehr lesenswert und wohltuend, die gleichen Einschätzungen, zu denen wir an vielen Stellen gelangt sind, aus so besonnenem Mund zu hören.
noch so ein feiner Link.
Kommentar von Fahrenheit am 15. Juni um 23:53 Uhr
Das hab ich mir auch so gedacht und irgendwie hat dieser Artikel mich auch ein wenig beruhigt.
Es geht auch nicht an, dass die Bewegung sich spalten lässt.
lg,
Fahrenheit