George Orwell im Israelkrieg
Das literarische Leben ist, jenseits aller Stochastik, voller Zufälle - oder es gibt Dinge, die ändern sich nie. Ich las im Urlaub einen von George Orwells hervorragenden Aufsätzen:
“Notes on Nationalism”, Polemic, Oktober 1945. In diesem Aufsatz entwickelt Orwell ein erweitertes Konzept von Nationalismus, das das klassische Bild des Nationalisten als überbegeisterten Verfechter der eigenen Nation erweitert:
Man mag zu Orwell stehen, wie man will, aber er hat wie kein Zweiter die moderne Welt und ihre geistigen Kinder verstanden. Und das prägendste Bedürfnis in der mobilisierten Welt ist das, das nach Identität verlangt und nach Orientierung: Das Bedürfnis eben, sich auf eine Seite zu schlagen, mit ihr zu identifizieren und dann ihre Sache voranbringen zu wollen. Und dieses Bedürfnis, wie ich korollieren möchte, wird um so stärker, je weniger uns ein Konflikt persönlich angeht, je weniger von uns eben in einem Konflikt ist.
Eben dieses Bedürfnis scheint auch das zu sein, das hinter der Aufregung um den “Nahost”-Konflikt steht: Zwei “Seiten”, in sich eigentlich unzusammenfassbar, teilen die Journalisten- und besonders die Bloggerlandschaft der westlichen Staaten in zwei Lager, die jeweils eine Konfliktpartei fanatisch anfeuern. Und der Mechanismus dieser Teilung ist interessanterweise nicht dort zu finden, wo der Konflikt stattfindet, sondern dort, wo der Westler sitzt: Bei uns, hier in Deutschland. Denn die Teilungslinie verläuft nicht etwa quer zum Gradienten der sozialen Bindungen zu den Kontrahenten; sie läuft auch nicht entlang der Verwerfungen des historischen Antisemitismus; sie läuft auch nicht zwischen Revoluzzern und Konservativen.
Nein, die Seite, auf die sich ein Mensch im Nahostkonflikt schlägt, scheint nur von wenigen Parametern beeinflusst zu werden: Die Pro-Amerikaner stehen auf der Seite Israels, die Anti-Amerikaner auf der Seite Palästinas. Die Rechten, also heutzutage die Vertreter des Bürgertums, schlagen sich zu Israel; die Linken, ungeachtet ihrer historischen Frakturen, schlagen sich zu Palästina.
Der Nahe Osten wird so zur Projektionsfläche der Streitigkeiten in der eigenen Gesellschaft, und jedes Eingreifen wird notwendigerweise nicht von dem Bedürfnis geprägt, für die Menschen der Region irgendeine akzeptable Lösung zu finden, sondern von der gefühlten Notwendigkeit, der eigenen Gruppierung gefühlte Macht zu verleihen. Im Gegenteil, der ganze Konflikt wird nur dadurch am Leben gehalten, pardon, am Töten gehalten, dass Menschen auf der ganzen Welt, Herrschende wie Beherrschte, meinen, sich eine Seite aussuchen und für diese “kämpfen” zu müssen. Ja, wenn es doch ein Kämpfen wäre! Ich ziehe meinen Hut vor jedem, der sich sein AK schnappt und in den Kampf zieht. Doch meistens ist es nur ein Schieben und Schubsen, ein Feuern und Heizen, ein Ölen der Maschinen des Todes und der Fanatiker beider Seiten, ohne selbst Risiken auf sich zu nehmen. Und davon kann man die Pazifisten am wenigsten ausnehmen.
Es mag sein, dass es den ein oder anderen Menschen in diesem medialen Konflikt gibt, der sich wirklich auf eine neutrale Position zu stellen versteht, doch alle anderen mögen hier an Orwell erinnert werden:
Diese undenkbaren Gedanken sind diejenigen, die für einen Frieden in Nahost gedacht werden müssen. Deshalb ist das Beste, was wir Deutschen für den Nahen Osten tun können, einfach mal die Klappe zu halten und uns um unsere eigenen Probleme zu kümmern.
“Notes on Nationalism”, Polemic, Oktober 1945. In diesem Aufsatz entwickelt Orwell ein erweitertes Konzept von Nationalismus, das das klassische Bild des Nationalisten als überbegeisterten Verfechter der eigenen Nation erweitert:
Mit Nationalismus meine ich zum Zweiten - und diese Bedeutung ist erheblich wichtiger - die Gewohnheit, sich selbst mit einer Nation oder anderen Einheit zu identifizieren, diese über Gut und Böse zu stellen und keine andere Pflicht mehr zu kennen als das Wohl dieser.” […] “Es bedeutet nicht notwendigerweise eine Loyalität zu einem bestimmten Land oder einer bestimmten Regierung, noch viel weniger zu seinem eigenen Land, und es ist noch nicht einmal wichtig, dass sein Objekt überhaupt existiert.
Man mag zu Orwell stehen, wie man will, aber er hat wie kein Zweiter die moderne Welt und ihre geistigen Kinder verstanden. Und das prägendste Bedürfnis in der mobilisierten Welt ist das, das nach Identität verlangt und nach Orientierung: Das Bedürfnis eben, sich auf eine Seite zu schlagen, mit ihr zu identifizieren und dann ihre Sache voranbringen zu wollen. Und dieses Bedürfnis, wie ich korollieren möchte, wird um so stärker, je weniger uns ein Konflikt persönlich angeht, je weniger von uns eben in einem Konflikt ist.
Eben dieses Bedürfnis scheint auch das zu sein, das hinter der Aufregung um den “Nahost”-Konflikt steht: Zwei “Seiten”, in sich eigentlich unzusammenfassbar, teilen die Journalisten- und besonders die Bloggerlandschaft der westlichen Staaten in zwei Lager, die jeweils eine Konfliktpartei fanatisch anfeuern. Und der Mechanismus dieser Teilung ist interessanterweise nicht dort zu finden, wo der Konflikt stattfindet, sondern dort, wo der Westler sitzt: Bei uns, hier in Deutschland. Denn die Teilungslinie verläuft nicht etwa quer zum Gradienten der sozialen Bindungen zu den Kontrahenten; sie läuft auch nicht entlang der Verwerfungen des historischen Antisemitismus; sie läuft auch nicht zwischen Revoluzzern und Konservativen.
Nein, die Seite, auf die sich ein Mensch im Nahostkonflikt schlägt, scheint nur von wenigen Parametern beeinflusst zu werden: Die Pro-Amerikaner stehen auf der Seite Israels, die Anti-Amerikaner auf der Seite Palästinas. Die Rechten, also heutzutage die Vertreter des Bürgertums, schlagen sich zu Israel; die Linken, ungeachtet ihrer historischen Frakturen, schlagen sich zu Palästina.
Der Nahe Osten wird so zur Projektionsfläche der Streitigkeiten in der eigenen Gesellschaft, und jedes Eingreifen wird notwendigerweise nicht von dem Bedürfnis geprägt, für die Menschen der Region irgendeine akzeptable Lösung zu finden, sondern von der gefühlten Notwendigkeit, der eigenen Gruppierung gefühlte Macht zu verleihen. Im Gegenteil, der ganze Konflikt wird nur dadurch am Leben gehalten, pardon, am Töten gehalten, dass Menschen auf der ganzen Welt, Herrschende wie Beherrschte, meinen, sich eine Seite aussuchen und für diese “kämpfen” zu müssen. Ja, wenn es doch ein Kämpfen wäre! Ich ziehe meinen Hut vor jedem, der sich sein AK schnappt und in den Kampf zieht. Doch meistens ist es nur ein Schieben und Schubsen, ein Feuern und Heizen, ein Ölen der Maschinen des Todes und der Fanatiker beider Seiten, ohne selbst Risiken auf sich zu nehmen. Und davon kann man die Pazifisten am wenigsten ausnehmen.
Es mag sein, dass es den ein oder anderen Menschen in diesem medialen Konflikt gibt, der sich wirklich auf eine neutrale Position zu stellen versteht, doch alle anderen mögen hier an Orwell erinnert werden:
Falls jemand, irgendwo in seinem Geist, nationalistische Gefolgschaft oder Hass nährt, sind bestimmte Gedanken, obwohl wahr, undenkbar.
Diese undenkbaren Gedanken sind diejenigen, die für einen Frieden in Nahost gedacht werden müssen. Deshalb ist das Beste, was wir Deutschen für den Nahen Osten tun können, einfach mal die Klappe zu halten und uns um unsere eigenen Probleme zu kümmern.
Kommentar von josef primzek am 19. August um 11:13 Uhr
Ich finde diese ganze Verallgemeinern unpraktisch.
Wenn ich Bush-kritisch bin oder überhaupt die aggressive US-Außenpolitik nicht mag, dann bin ich kein Antiamerikaner.
Ich mag einen großen Teil der dortigen Lebenseinstellung, das optimistische usw.
Genauso:
Man kann doch die israelische Armee kritisieren und den Umstand, daß Israel die Mitglieder der Hamas_Regierung entführt und einsperrt und trotzdem es gut finden, daß es keinen Verschleierungszwang in Israel gibt?!
Man muß doch nicht immer 100% sein - geht doch gar nicht.
Aber wer differneziert und denkt, macht sich ja leider oft Feinde.
Gruß
P.S. Steve, wat is denn nu mit die Bildung und die Kinder aus bildungsnahen Schichten?
Kommentar von Steve am 19. August um 12:30 Uhr
Hallo Josef,
Aber wer differneziert und denkt, macht sich ja leider oft Feinde.
Gerade das wage ich doch schwer zu bezweifeln. Zumindest nicht mehr Feinde als mit dem, was Orwell als “Nationalismus” taufte.
Steve, wat is denn nu mit die Bildung und die Kinder aus bildungsnahen Schichten?
Kommt. Ist versprochen. Ich bin noch nicht _so_ lange zurück
und kann nicht alles auf einmal machen - dieser Artikel musste erstmal raus.
Schönen Gruß, Steve
Kommentar von ravi am 19. August um 16:56 Uhr
Hi Josef, Aber wer differneziert und denkt,macht sich ja leider oft Feinde . Eben , darum geht’s ja ,überhaupt mit denken anzufangen .Es ist ein vereinbarung zwischen dir und dein bewustsein . Damit hast du wichtigster Freund gewonnen deine seele . Politblog ist ja beweis dafür das du nicht allein bist.Und Menschen wie du können gar nicht anderes ,sind niemals nur Mitläufer. Ich glaube Steve meint auch so . MFG ravi
Kommentar von Steve am 20. August um 12:24 Uhr
Hallo Ravi,
Ich glaube Steve meint auch so.
Nein, ich meine das so, dass der, der mit dem Denken anfängt, dem Denken misstrauen sollte, denn es führt schneller in Sackgassen als zum Ziel.
Schönen Gruß, Steve