Propper oder Propaganda?
Wenn Werbung überhand nimmt
In Sao Paolo gibt es keine Werbung im öffentlichen Raum. Seit dem 1. Januar 2007 sind Werbe-Transparente, Plakate, Flugblätter und Werbeflieger in der brasilianischen Millionenstadt verboten.
“Es war einfach zuviel geworden”, erklärte der Architekt Horche Bilheim die Entscheidung des Bürgermeisters Gilberto Kassab. Fast alle Fassaden seien mit Plakaten oder Leuchtschrift-Röhren überpflastert gewesen. Das habe “kein Mensch mehr ertragen” können.
Besonders üppig wucherte die Werbung an Baustellen. Hier war oft nichts anderes mehr zu sehen als Plakate und Aufkleber.
Da sich die Werbewirtschaft nicht an die städtischen Vorschriften zur Begrenzung der Formate gehalten hatten, war dem Bürgermeister der Kragen geplatzt. Im Dezember 2006 untersagte Kassab jegliche Werbung im Stadtbild.
Bilheim findet diese Vorgehensweise richtig: “Warum sollten wir den Konsum öffentlich fördern, wo es wichtigere kulturelle und ethische Werte gibt?”
Die meisten Bewohner betrachten ihre werbefreie Stadt jetzt mit anderen Augen. Endlich sehen sie die bröckelnden Fassaden hinter der Werbung hervortreten. Eifrig beginnen sie, sich für den Erhalt der historischen Häuser zu interessieren. Folge dieser neuen Anblicke ist jetzt eine breit getragene Fassaden-Verschönerungsaktion.
Die Bevölkerung von Sao Paolo steht mehrheitlich hinter dieser Aktion. Dem Bürgermeister ist es gelungen, das Krebsgeschwür Werbung erfolgreich zurückzudrängen. Das Vordringen von PR-Strategen in die hintersten Winkel seiner Stadt konnte er erfolgreich stoppen.
Endgültig Ruhe geben werden die Marketing-Manager deswegen freilich nicht. Doch sie holen erst einmal tief Atem, während die Bürger der brasilianischen Metropole die neue Schönheit ihrer Stadt genießen.
Michels Marketing-Methoden
In einen wesentlich zwielichtigeren Winkel vorgedrungen waren Vertreter einer deutschen PR-Agentur. Das Kölner Boulevard-Magazin “Express” enthüllte ihre Bestechungsversuche im Auftrag des Bundeswirtschaftsministers Michael Glos. Der CSU-Politiker geriet dadurch ins Zwielicht.
Dem Kölner Verlag hatte die von ihm beauftragte Agentur erhebliche Investitionen in Anzeigen angeboten. Geknüpft hatten die PR-Strategen diese Werbegelder allerdings an eine gemeinsame Organisation von PR-Veranstaltungen zugunsten des Ministers und die Berichterstattung darüber.
Diese Agentur sei über das Ziel hinausgeschossen, befand Glos dazu. Selbstverständlich lehne er solche Praktiken ab. Die betreffende Agentur sei “abgezogen” worden.
“Man wird’s doch mal versuchen können”, mag mancher eilfertige PR-Berater sich wohl gedacht haben. “Eine Hand wäscht die andere.”
Wären die Leute vom “Express” auf das unsittliche Angebot eingestiegen, wäre Glos wohl der letzte gewesen, der die positive PR nicht gerne genossen hätte. Er scheint derartige Unterstützung auch dringend nötig zu haben.
Bestechungsgelder aus der Staatskasse sind ohnehin nichts Neues. Man muss sich nur an den Versuch der hessischen Landesregierung unter ihrem Ministerpräsidenten Roland Koch erinnern, die Freien Wähler mit Hilfe staatlicher Wahlkampfkosten-Rückerstattung für die Kommunalwahl 2006 von einer Kandidatur zur Landtagswahl 2008 abzuhalten. Dieses unsittliche Angebot mussten Koch und andere Beteiligte in einem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags öffentlich zugeben, nachdem sie es zunächst ganz abgestritten hatten.
Und nahezu alle Regierungen landauf landab geben erkleckliche Beträge aus für PR zur Beschönigung oder Verherrlichung eigener Aktivitäten. So zahlt der Steuerzahler indirekt seine eigene Berieselung!
Angesichts der ausufernden Werbung mag man sich auch in Deutschland eine Aktion wie die in Sao Paolo wünschen. Dem Bundeswirtschaftsminister möchte man raten, sich besser zurückzuhalten mit weiteren Kampagnen. Schon ein Volkslied aus den Tagen der Paulskirchen-Revolution von 1848 fragte die “Unersättlichen” bissig: “Mein Michel, was willst Du noch mehr?”
© Politblog - Lizenzrichtlinien

In Sao Paolo gibt es keine Werbung im öffentlichen Raum. Seit dem 1. Januar 2007 sind Werbe-Transparente, Plakate, Flugblätter und Werbeflieger in der brasilianischen Millionenstadt verboten.
“Es war einfach zuviel geworden”, erklärte der Architekt Horche Bilheim die Entscheidung des Bürgermeisters Gilberto Kassab. Fast alle Fassaden seien mit Plakaten oder Leuchtschrift-Röhren überpflastert gewesen. Das habe “kein Mensch mehr ertragen” können.
Besonders üppig wucherte die Werbung an Baustellen. Hier war oft nichts anderes mehr zu sehen als Plakate und Aufkleber.
Da sich die Werbewirtschaft nicht an die städtischen Vorschriften zur Begrenzung der Formate gehalten hatten, war dem Bürgermeister der Kragen geplatzt. Im Dezember 2006 untersagte Kassab jegliche Werbung im Stadtbild.
Bilheim findet diese Vorgehensweise richtig: “Warum sollten wir den Konsum öffentlich fördern, wo es wichtigere kulturelle und ethische Werte gibt?”
Die meisten Bewohner betrachten ihre werbefreie Stadt jetzt mit anderen Augen. Endlich sehen sie die bröckelnden Fassaden hinter der Werbung hervortreten. Eifrig beginnen sie, sich für den Erhalt der historischen Häuser zu interessieren. Folge dieser neuen Anblicke ist jetzt eine breit getragene Fassaden-Verschönerungsaktion.
Die Bevölkerung von Sao Paolo steht mehrheitlich hinter dieser Aktion. Dem Bürgermeister ist es gelungen, das Krebsgeschwür Werbung erfolgreich zurückzudrängen. Das Vordringen von PR-Strategen in die hintersten Winkel seiner Stadt konnte er erfolgreich stoppen.
Endgültig Ruhe geben werden die Marketing-Manager deswegen freilich nicht. Doch sie holen erst einmal tief Atem, während die Bürger der brasilianischen Metropole die neue Schönheit ihrer Stadt genießen.
Michels Marketing-Methoden
In einen wesentlich zwielichtigeren Winkel vorgedrungen waren Vertreter einer deutschen PR-Agentur. Das Kölner Boulevard-Magazin “Express” enthüllte ihre Bestechungsversuche im Auftrag des Bundeswirtschaftsministers Michael Glos. Der CSU-Politiker geriet dadurch ins Zwielicht.
Dem Kölner Verlag hatte die von ihm beauftragte Agentur erhebliche Investitionen in Anzeigen angeboten. Geknüpft hatten die PR-Strategen diese Werbegelder allerdings an eine gemeinsame Organisation von PR-Veranstaltungen zugunsten des Ministers und die Berichterstattung darüber.
Diese Agentur sei über das Ziel hinausgeschossen, befand Glos dazu. Selbstverständlich lehne er solche Praktiken ab. Die betreffende Agentur sei “abgezogen” worden.
“Man wird’s doch mal versuchen können”, mag mancher eilfertige PR-Berater sich wohl gedacht haben. “Eine Hand wäscht die andere.”
Wären die Leute vom “Express” auf das unsittliche Angebot eingestiegen, wäre Glos wohl der letzte gewesen, der die positive PR nicht gerne genossen hätte. Er scheint derartige Unterstützung auch dringend nötig zu haben.
Bestechungsgelder aus der Staatskasse sind ohnehin nichts Neues. Man muss sich nur an den Versuch der hessischen Landesregierung unter ihrem Ministerpräsidenten Roland Koch erinnern, die Freien Wähler mit Hilfe staatlicher Wahlkampfkosten-Rückerstattung für die Kommunalwahl 2006 von einer Kandidatur zur Landtagswahl 2008 abzuhalten. Dieses unsittliche Angebot mussten Koch und andere Beteiligte in einem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags öffentlich zugeben, nachdem sie es zunächst ganz abgestritten hatten.
Und nahezu alle Regierungen landauf landab geben erkleckliche Beträge aus für PR zur Beschönigung oder Verherrlichung eigener Aktivitäten. So zahlt der Steuerzahler indirekt seine eigene Berieselung!
Angesichts der ausufernden Werbung mag man sich auch in Deutschland eine Aktion wie die in Sao Paolo wünschen. Dem Bundeswirtschaftsminister möchte man raten, sich besser zurückzuhalten mit weiteren Kampagnen. Schon ein Volkslied aus den Tagen der Paulskirchen-Revolution von 1848 fragte die “Unersättlichen” bissig: “Mein Michel, was willst Du noch mehr?”
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Politblog ist Mitinitiator der Aktion

Unterschreibt für Freiheit und Demokratie
Kommentar von DaRockwilda am 14. August um 17:25 Uhr
Großen Respekt für die Verantwortlichen in Sao Paolo. Könnten sich einige Städte zumindest tendenziell ein Beispiel nehmen!
Kommentar von drisch am 14. August um 17:40 Uhr
könnte es in z.B. Berlin nicht ein Volksbegehren geben was genau diesen Umgang mit Werbung fordert, zumindest in manchen Kiezen..?
Kommentar von n.i.r.b.i.d. am 15. August um 02:04 Uhr
wow. eine werbefreie stadt! wirklich beneidenswert! naja, wahlkampfplakate wird man dennoch sehen müssen befürchte ich?!
Kommentar von theifrit am 15. August um 07:09 Uhr
Ich frage mich, warum Politiker Werbung für sich machen müssen, wenn sie doch so gute Arbeit machen.
And Sao Paolo… nich schlecht der Schritt vom Bürgermeister.
Kommentar von Jochen Hoff am 15. August um 07:17 Uhr
Werbung im öffentlichen Raum zu verbieten, halte ich für eine gute Idee. Sie kostet nur das Geld des Verbrauchers und verschandelt das Stadtbild. Wer gut ist, setzt sich auch so am Ort durch und wer schlecht ist und schlecht bleiben will gehört nicht auf den Markt.
Allerdings verlieren wir dann mit einem deutschen Plakatunternehmen auch einen der unwichtigsten deutschen Web 1,01 Förderer und seine Bussiness-Angel.
Kommentar von Franz-Josef Hanke am 16. August um 11:40 Uhr
Die deutsche Werbe-Wirtschaft wird Verboten wahrscheinlich mit der Position entgegentreten, sie sei dadurch in ihren “Grundrechten” beeinträchtigt. Genau so jedenfalls haben Werbefirmen gegenüber Gerichte sogar unverlangte Anrufe - sogenannte “Cold Calls” - begründet. Gottseidank hat die große Mehrheit der Gerichte diese Position nicht akzeptiert. Aber die Werbe-Terroristen ziehen damit vor das Bundesverfassungsgericht, weil sie dadurch die “Freiheit der Berufs-Ausübung” eingeschränkt sehen.
Die Freiheit der Menschen von belästigender WErbung scheint dagegen nicht als Recht akzeptiert zu werden.
Deswegen finde ich den Vorschlag von lokalen Bürgerbegehren mit möglichst stark einschränkenden Regelungen gegen die Werbeflut sehr gut.
Im Übrigen ärgern mich auch die Massen von Auslagen und Werbeständern vor Geschäften, die den Weg versperren und Behinderte behindern. Die Kommunen sollte man da wirklich mal in Bewegung bringen.
letzlich ist die Werbung eine Art “Gehrinwäsche”: Konsum verheißt Glück. Konsum-Abstinenz ist demzufolge verpönt.
Viellleicht sollte man auch solche Firmen beim Einkauf meiden, die allzu viel aufplusternde Werbung betreiben. Die müssen es wohl nötig haben, könnte man meinen und vermuten, dass die Produkte umgekehrt proportional zur Werbung und deren Umfang bewertet werden sollte: Je weniger Werbung, desto mehr kann das Produkt für sich selbst sprechen!
fjh
Kommentar von quno am 16. August um 14:00 Uhr
gabs bisher nur in orten wie
celebration city
dubai
heiligendamm
http://www.flickr.com/photos/tonydemarco/sets/72157600075508212/