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Das Problem mit den Gesetzen zu Völkermorden

Dem Vernehmen nach hat das französische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung des angeblichen türkischen Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellt.

Allein die Absurdität der Lokalitäten ist verblüffend. Ein französisches Parlament (übrigens entgegen der anderslautenden Meinung von Regierung und EU-Kommission) erlässt ein Gesetz über ein Verbrechen, das ein 2. Land an einem 3. Land verübt hat. Die Armenier sind kein Land, aber man erkennt die Komik. Genausogut könnte jetzt Frankreich ein Gesetz erlassen, das es unter Strafe stellt, zu leugnen, dass Frankreich 1940 gegen die Armenier Folter angewandt hat. Oder die EU könnte jeden einsperren lassen, der nicht bei jeder Gelegenheit zu Bedenken gibt, dass die USA an den Ureinwohnern Nordamerikas einen Genozid verübt haben.

Diese Ideen kommen nicht von mir, sondern werden von Timothy Garton Ash in einem lesenswerten Artikel im Guardian geäußert.
Ash stellt unter Anderem die berechtigte Frage, “mit welchem Recht das französische Parlament durch ein Gesetz den korrekten historischen Begriff für Etwas vorschreibt, das eine andere Nation einer dritten nation vor 90 Jahren angetan hat ?”

Weiter sagt er, könne man bei einem Gesetz, dass Leugnung der in Vichy-Frankreich an Juden verübten Verbrechen unter Strafe stellt, wenigstens ein Zeichen von Selbstkritik erkennen.

Während also mitten in Europa dieser glorreiche Akt der Freiheit und der Courage die Äußerung der einen Meinung verbietet, kritisiert eben dieses Europa die Türkei, welche die Äußerung der gegenteiligen Meinung faktisch verbietet.

Und das ist das Problem bei den Gesetzen zu Völkermorden. Man kann unmöglich die Freiheit der Meinungsäußerung propagieren, und gleichzeitig Meinungen verbieten. Meinungsfreiheit ist Etwas absolutes, entweder die Menschen dürfen sagen was sie wollen, oder sie werden unterdrückt. Sobald man nur noch das sagen darf was den Machthabern passt, so wie es auch in der Türkei der Fall ist, lebt man nicht mehr in Freiheit.

Das zusätzliche Problem an dieser Zensur ist ein damit einhergehender Glaube, man verfüge über die absolute Wahrheit. Indem man sagt “wir sind uns doch alle einig, dass Verbrechen X genau so geschehen ist” und von da an jeden Widerspruch verbietet, erhebt man sich über den Status eines Menschen. Man spielt Gott.
Auch die uns einleuchtendste Wahrheit kann sich irgendwann als Irrtum herausstellen, so wie es sich als Irrtum herausgestellt hat, dass die Sonne um die Erde kreist. Und deshalb gibt es normalerweise die Möglichkeit, selbst gerichtliche Beschlüsse durch die Präsentation neuer Beweise oder anderer Einsprüche rückgängig zu machen oder gar umzukehren.
Wenn es nicht erlaubt ist, Hinweise für Tatsache Y vorzutragen, dann verteidigt die Gesellschaft damit ein Dogma. In diesem Fall das Dogma vom Verlauf eines Verbrechens X.

Indem man verbietet, Argumente für die Nichtexistenz von Verbrechen X (oder auch nur die andersartige Existenz) vorzutragen, macht man sich zum Alleinbesitzer der Wahrhheit. Das ist zutiefst undemokratisch und widerspricht jedem wissenschaftlichen Grundsatz.

Diese Debatte hat weiter reichende Dimensionen. Es tut sich zusätzlich ein Problem mit der Toleranz gegenüber Religionen an. Zentrum von Religion ist der “Glaube”. Und Glaube nun ist genau das Gegenteil von Wissen, die Annahme einer Sache, die man unmöglich beweisen kann. Niemand kann Gott beweisen, und doch glauben viele an ihn.
Warum wird dieser Glaube nicht verboten ? Auch hier fehlen jegliche Beweise für das, was die Gläubigen behaupten. Trotzdem lässt man sie gewähren und nennt sie nicht “Revisionisten”. Den Glaube aber an die Nichtexistenz eines Verbrechens verbieten wir mit Stolz.

Zudem nimmt Europa sich so selbst die Möglichkeit, beim Thema der Meinungsfreiheit den Moralapostel gegenüber der Türkei oder anderen Ländern zu spielen. Wie soll man glaubwürdig behaupten, man vertrete die Freiheit, wenn man sie so deutlich unterdrückt ?

Interessanterweise habe ich von einem Politiker gelesen, der das genau so sieht wie ich.

Der Schweizer Justizminister Christoph Blocher hielt sich Anfang Oktober eben wegen des Disputs um die Armenier in der Türkei auf. Eben diese Doppelmoral fiel ihm während der Gespräche mit seinem türkischen Gastgeber auf, und so habe er es mit einer “Diplomatie des Vorbilds” versucht:


“Was als Genozid zu bewerten sei und was nicht, müssten die Historiker entscheiden, sagte Blocher. Eine wissenschaftliche Debatte habe aber keinen Sinn, wenn die Äusserung einer abweichenden Meinung verboten sei”



«Ich will nicht, dass in der Schweiz eine Meinung nicht geäussert werden darf, nur weil sie jemandem nicht passt.»



Genau so ist es. In einer demokratischen Gesellschaft muss der freie wissenschaftliche Diskurs möglich sein. Nur so kann man so nah wie möglich an die Wahrheit herankommen, und darüberhinaus noch ein Vorbild für den Rest der Welt sein.

Blocher nun schlug vor, den Tatbestand der Genozid-Leugnung aus dem Schweizer Strafgesetzbuch zu streichen. Dies würde dann natürlich auch den Holocaust betreffen. Deshalb dürfte Blocher einiges an Gegenwind bekommen, da dieses Thema viel zu emotional beladen ist (auch dank der organisierten Klassenfahrten in ehemalige Konzentrationslager, wo man sich eines Gefühls des Schuldigseins kaum erwehren kann), als dass der Großteil der Menschen auch hier die Regeln der Demokratie und der Wissenschaft anwenden würde. Der Holocaust ist zum Dogma geworden.
Lieber zensiert man also weiter drauflos und erzählt anderen Nationen, dass sie gefälligst für Meinungsfreiheit zu sorgen hätten.

DaRockwilda
Dieser Eintrag wurde am Freitag, den 27. Oktober 2006 von DaRockwilda geschrieben und in die Kategorie Internationale Politik eingeordnet. Du kannst alle Kommentare zu diesem Artikel mit dem RSS 2.0 Feed beobachten. Du kannst eine Antwort hinterlassen, oder durch einen Trackback auf diesen Artikel verlinken.
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Kommentar von Steve am 27. Oktober um 12:20 Uhr

Hallo RockWilda,

wie stehst du eigentlich zu der Verteidigung, die das Verfassungsgericht zu dem Holocaust (der sicherlich zum Präzedenzfall für alle Genozide taugt) vorbrachte?
Ich fasse sie mal kurz zusammen:
Die Meinungsfreiheit findet an den Persönlichkeitsrechten ein Ende. “Josef Ackermann fickt kleine Kinder” wird nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, denn diese Behauptung schädigt die Person Ackermanns.
In diese Kategorie fällt dann auch die Leugnung des Völkermordes, da sie blanker Hohn für alle Überlebenden und deren Angehörige ist.

Schönen Gruß, Steve

Kommentar von DaRockwilda am 27. Oktober um 12:26 Uhr

Da halte ich es wie Blocher:

“Ich will nicht, dass in der Schweiz eine Meinung nicht geäussert werden darf, nur weil sie jemandem nicht passt.”

Sprich, Persönlichkeitsrechte haben vor Meinungsfreiheit keinen Vorrang in meiner Vorstellung.

Es wäre nochmal ein Unterschied, wenn man sagt “Individuum X war nie Opfer irgendeines Verbrechens” (wenn es sich um ein Massenverbrechen handelt).

Aber wenn es unpersönlich gehalten wird, dann wäre es für mich okay.

Im Übrigen musst du bedenken, dass nicht alles was als Leugnung gilt Verbrechen X auch komplett Leugnen will. Dazu reicht es ja schon, den Tathergang des Verbrechens X anders darzustellen.

Kommentar von Archivar am 27. Oktober um 20:21 Uhr

Da stimme ich DaRockwilda durchaus zu. Und wer sagt uns denn das diese so genannte offenkundige Wahrheit auch die Wahrheit ist? Kein Normalsterblicher hat Zugang zu den Archiven, wir sollen und müssen das glauben was in den Geschichtsbüchern steht und was selbsternannte Publizisten von sich geben.

Kommentar von Archibald am 27. Oktober um 22:52 Uhr

DaRockwilda –… Jetzt haben wir aber ein grosses Problem – ich hoffe sie revidieren ihre Meinung: es muss wohl unkenntnis über die Schweizer Politik sein. – Blocher ist ein brauner kerl: in seiner rechts-aussen Partei sind zahlreiche Negationisten. Die leugnen den Holocaust und Blocher hat ein Buch des Nagationisten Jügen Graf öffentlich gelobt.
Der Vökermord an den Armeniern hat stattgefunden und sogar Attatürk hat die schwere Schuld eingstanden. Im übrigen exisistiert auch ein Land Armenien. Machen sie sich schlauer!

Kommentar von Archibald am 27. Oktober um 22:58 Uhr

Blocher war zudem in schmutzige Geschäfte mit der Apartheid-Regierung verwickelt (er hat die Akten nun als Bundesrat als geheim deklariert) und seine Firma EMS, die seine Tochter nun übernommen hat, produziert immer noch Zünder für Personenminen.
In ihren Worten: Blocher repräsentiert den industriell-militärischen Komplex. Des weiteren hat er in Worten Göbbels gesagt, es dürfe keine Partei rechts der seinigen geben.

Kommentar von DaRockwilda am 27. Oktober um 23:31 Uhr

Stimmt, das mit Armenien war ein fauxpas meinerseits. Es gibt tatsächlich ein Armenien.

In der Tat verfüge ich bislang über keine große Kenntnis der Schweizer Politik.

Aber zunächst einmal sind das Anschuldigen. Diese werden sich ja zumindest belegen lassen, oder ?

Und während sein restliches Engagement, sofern es sich als das entpuppt was hier behauptet wird, zu verurteilen ist, nimmt das dem hier besprochenen Argument nicht im Geringsten die Gültigkeit. Um es kurz zu sagen, wenn der Teufel persönlich sagt 2+2 ist 4, dann kann er noch so viele Seelen zum Frühstück essen, er hat mit dieser Aussage trotzdem Recht.

Insofern stimme ich Blocher trotz dieser noch unbelegten Anschuldigungen weiterhin zu. Auch wenn ich mir dann einen anderen Politiker wünschen würde, der meine Haltung repräsentiert.

Im Übrigen bezweifle ich nicht im Geringsten (wie du implizierst), dass der Völkermord an den Armeniern stattgefunden hat. Gleiches gilt für den Völkermord an den Juden.

Wer Gläubige in Freiheit ihren Glauben leben lassen will, leugnet ja schließlich damit auch noch nicht automatisch, dass der Mensch durch die Evolution entstanden ist.

Kommentar von Albert Benoit am 28. Oktober um 20:42 Uhr

Es ist wirklich seltsam, dass ein Parlament eine “Tat” gesetzlich festlegt - ohne ein Gericht zu sein oder juritisches Verfahren eingeleitet zu haben - und dann noch eine Strafe zu verhängen, die in ihrer Höhe unglaublich erscheint. Wenn man sich einige Jahre mit der materie “armenier und das osmanische Reich” beschäftigt, dann wird einem klar, dass es ein blutiger Bürgerkrieg war und kein organisierter Genozid.

Wenn ich mich nicht irre hat Ithzak Rabin einmal in einem Interview gesagt “Das was den Armeniern wiederfahren ist, war schrecklich, aber kein Genozid”.

Demokratie bedeutet auch, dass man neben Meinungsfreiheit auch Menschen nicht nach Kultur und Glauben beurteilt werden. Die Türken werden mit solchen “aktionen” bewusst verunglimpft und diese “Genozidgesetze” diesen eine negative Atmosphäre gegen die Türkei zu schaffen. MIt “halbwahrheiten” wird in Frankreich versucht ca. 450 000 Wahlstimmen von Armeniern und Griechen zu mobiliseren.

Viele Menschen gehen fest davon aus, dass ein Genozid an den Armeniern stattgefunden hat - ohne einen beweis zzu besitzen. Viele Historiker geben die Opfer der Armeniern mit 1 Mio an und die Zahl der gestorbenen Muslimen mit ca. 4 Mio - ein genozid mit Opfern auf beiden Seiten?

Die Nürnberger prozesse belegten den Genozid mit Tonnen an Beweismaterial und so wurde der Genozid an den Juden “juristisch” unerschütterlich belegt. Wo bleibt der internationale Gerichtshof für die Türken? Wieso legt keine Nation einen Antrag vor? Oder genauer gesagt - wieso gab es ein Militärtribunal der briten (1918-1919) und eine US Kongress Untersuchung, und in beiden Verfahren wurde kein Beweis für einen genozid gefunden. Wieso ruft der Westen nicht zu einem Verfahren am europäischen Gerichtshof auf?

Demokratie baut auf Rechtstaatlichkeit und dies vermeiden die Franzosen und wir (Deutschen). Ich erinnere mich an den Anfang der 90er jahre, als Armenien seinen Nachbarn Azerbaidschan angegriffen hat und Massaker in Bergkarabach durchgeführt hat. Damals hat das niemanden interessiert? Opfer werden zu Mördern und wir Deutschen lassen uns in diese Intrigen reinziehen, obwohl gerade wir eine “interationale Untersuchung” unterstützen sollten. Doch wir tun es nicht? Also ist es wohl nicht wichtig. Was solls!

So, diskutieren Menschen im Netz, in Parlamenten und in den Medien - mit pseudo-wissenschaftliche Wissen über Dinge die aus “halbwahrheiten”, “kulturellen Ignoranz” und “Stammtischreden” bestehen.

Demokratie - wo bist du? Wann hast du Deutschland verlassen?

Kommentar von Steve am 28. Oktober um 20:59 Uhr

Hallo Albert,

Es ist wirklich seltsam, dass ein Parlament eine “Tat” gesetzlich festlegt - ohne ein Gericht zu sein oder juritisches Verfahren eingeleitet zu haben - und dann noch eine Strafe zu verhängen, die in ihrer Höhe unglaublich erscheint.

Ich glaube doch, es hackt. Entschuldige, dass ich das so ausfallend formulieren muss, aber: Was glaubst du, wofür ein Parlament da ist? Was glaubst du, was Legislative heißt?

Auch wenn viele Vollzeit-aber-Nullahnungjournalisten das gerne anders darstellen, ist das Parlament nicht die Beratungskammer der Regierung. In Frankreich wie Deutschland ist es das zentrale Organ der Legislative, und es ist die _Aufgabe_ der Legislative, Tatbestände festzulegen! Gerichte legen Gesetze nur aus, Parlamente MACHEN sie. Es ist also nicht seltsam, dass ein Parlament eine “Tat” einfach so gesetzlich festlegt, sondern es ist gewollte parlamentärdemokratische Praxis.

Das hat auch mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Rechtsstaatlichkeit heißt nur, dass entweder alle Armenienschmäher abgeurteilt werden oder keiner und dabei die Rechte aller Beteiligten, seien sie verantwortlich oder nicht, gewahrt werden. Wenn auf Völkermordsleugnung die Todesstrafe verhängt würde, wäre das rechtsstaatlich immer noch unbedenklich.

Sehr verwunderten Gruß, Steve

Kommentar von Stephan Hartmann am 29. Oktober um 02:21 Uhr

“Das hat auch mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Rechtsstaatlichkeit heißt nur, dass entweder alle Armenienschmäher abgeurteilt werden oder keiner und dabei die Rechte aller Beteiligten, seien sie verantwortlich oder nicht, gewahrt werden. Wenn auf Völkermordsleugnung die Todesstrafe verhängt würde, wäre das rechtsstaatlich immer noch unbedenklich.”

aber nur im Prinzip! Wo kommen wir denn dahin, wenn auf so ein Delikt eine Todesstrafe verhängt würde. Hier in Deutschland ist die Todesstrafe zum Beispiel mit dem Rechtsstattsprinzip nicht vereinbar (Grundrecht auf Leben)!

Ansonsten haste Recht…

Kommentar von josef primzek am 29. Oktober um 14:28 Uhr

@ Darockwilda

Ich denke, die Franzosen wollen die Türkei nicht in der EU haben, das wird der Hintergrund sein.

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 15:17 Uhr

@Steve:

Das ist aber so nicht ganz richtig. Denn das Parlament hat nicht gesagt “wenn ein Gericht in einem ordnungsgemäßen Prozess feststellt, dass nach Abwägung der Argumente beider Seiten rauskommt, dass es Verbrechen X gab, dann wird jeder bestraft, der danach ohne neue Beweise sagt, es habe Verbrechen X nicht gegeben”.

Stattdessen sagt das Parlament, “Niemand darf überhaupt einen Hinweis dafür vorbringen, dass Verrbechen X nicht oder anders als bisher geglaubt stattgefunden hat”.

Insofern hat da das Parlament bereits Judikative gespielt und sich zum Besitzer der Wahrheit gemacht und “entschieden was geschehen ist”. Das darf es nicht ohne die Möglichkeit zuzulassen, diese “Wahrhheit” durch das Vorbringen neuer Hinweise umzukehren oder abzuändern.

Kommentar von Steve am 29. Oktober um 15:30 Uhr

Hallo RockWilda,

das Parlament muss ja auch nicht die “wenn-dann”-Formulierung verwenden. Es heißt ja auch nicht “wenn ein Gericht in einem ordnungsgemäßen Prozess feststellt, dass nach Abwägung der Argumente beider Seiten rauskommt, dass Mord ein Verbrechen ist”, sondern das Parlament legt _fest_, dass Mord ein Verbrechen ist, genauso wie es festgelegt hat, dass die Leugnung des Holocaust ein Verbrechen ist.

Das mag eine seltsame Feststellung sein, aber es ist das gute Recht der Legislative. Gerichte können dann nur noch feststellen, ob die Gesetzgebung dabei im Rahmen der Gesetze handelte.

Schönen Gruß, Steve

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 15:56 Uhr

““wenn ein Gericht in einem ordnungsgemäßen Prozess feststellt, dass nach Abwägung der Argumente beider Seiten rauskommt, dass Mord ein Verbrechen ist””

Das muss aber korrekt heißen “… rauskommt, dass ein Mord BEGANGEN wurde.” Dass es ein Verbrechen ist, darf das Parlament tatsächlich festlegen. Aber es lässt auch in diesem Fall jedem Mörder vor Gericht die Chance, seine Unschuld zu beweisen.

Analog in diesem Fall wäre es eben falsch, die alleinige Aussage des Mörders “Ich habe den Mord nicht begangen” unter Strafe zu stellen.

Kommentar von Steve am 29. Oktober um 21:27 Uhr

Hallo RockWilda,

Das muss aber korrekt heißen “… rauskommt, dass ein Mord BEGANGEN wurde.”

Eben ja nicht. Weder französisches Parlament noch französische Gerichte haben zu entscheiden, ob in Armenien ein Völkermord begangen wurde. Analog zum Straftatbestand “Mord” steht hier die “Völkermordsleugnung”.

Analog in diesem Fall wäre es eben falsch,

Moralisch falsch: sicherlich. Verfassungsrechtlich falsch: in Deutschland wohl nicht. Institutionell falsch, sprich, dem Parlament nicht zustehend: Nein.

Schönen Gruß, Steve

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 21:52 Uhr

“Weder französisches Parlament noch französische Gerichte haben zu entscheiden, ob in Armenien ein Völkermord begangen wurde”

Wenn es französische Gerichte nicht entscheiden können, dann unterliegt das gesamte auch nicht französischer Jurisdiktion und dann kann das Parlament auch nicht sagen, dies oder das sei Fakt wenn es nicht in französischen Gerichten verhandelt werden kann.

“Moralisch falsch: sicherlich”

Reicht schon.

Kommentar von Steve am 29. Oktober um 22:01 Uhr

Hallo RockWilda,

Wenn es französische Gerichte nicht entscheiden können, dann unterliegt das gesamte auch nicht französischer Jurisdiktion und dann kann das Parlament auch nicht sagen, dies oder das sei Fakt wenn es nicht in französischen Gerichten verhandelt werden kann.

Das sagt es ja auch nicht! Es verbietet nur, das Gegenteil zu behaupten, und ja, das ist ein Unterschied.

Das Parlament stützt sich bei jedem Gesetz auf nicht-politische Erkenntnisse. Das Parlament sagt ja auch, dass es verboten ist, Menschen zu töten, obwohl in französischen Gerichten nie verhandelt wurde, ob man Menschen unsterblich sind. Das sind äußere Fakten. Das ist vielleicht im Falle Armeniens in Frage zu stellen, aber nicht allgemein. Rechtssprechung ist kein Axiomensystem.

Schönen Gruß, Steve

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 22:22 Uhr

Du hast schon Recht dass die Entscheidungen auf nichtpolitische Erkentnisse fußen, aber es bleibt dabei. Ob im eigenen Jurisdiktionsbereich oder nicht, ein entscheidendes Element jeglicher Rechtstaatlichkeit ist die Möglichkeit zur Vorbringung einer Tatsache. Und diese Möglichkeit hat das französische Parlament jenen genommen, die sagen wollen es gab Verbrechen X nicht und dafür Beweise vorbringen wollen.

Es mir nicht darum ob das Parlament für die Entscheidung die es getätigt hat das passende Organ ist oder nicht. Mir geht es darum dass die Entscheidung nicht mit Grundprinzipien der traditionellen Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist.

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 22:54 Uhr

Update, danke an Thomas für den Hinweis:

“Armenische Intellektuelle lehnen Gesetz ab

Armenische Intellektuelle in der Türkei lehnten die französischen Gesetzespläne ab. Der Entwurf atme denselben repressiven Geist wie die Gesetze und Praktiken, die in der Türkei die Meinungsfreiheit einschränkten, schreiben die beiden bekannten Intellektuellen Etyen Mahcupyan und Hrant Dink und der türkische Verleger Ragip Zarakolu. Dink, der Herausgeber der Wochenzeitschrift „Agos“, muß sich wegen Meinungsdelikten vor türkischen Gerichten verantworten. Die drei bedauern, daß diese Praxis der Beschränkung der Meinungsfreiheit nun auch im Westen Fuß fasse.

Um die Geschichte zu verstehen, bedürfe es indes keiner Gesetze, die diktierten, was in der Vergangenheit geschehen sei. Sie bezeichnen den Entwurf als psychologische Hürde für einen Dialog zwischen Türken und Armeniern, dessen Notwendigkeit beide Seiten zunehmend erkennen würden. Sie werfen den Verfassern des Entwurfs vor, die Beziehungen zwischen den beiden Völkern zu einem Spielball kurzfristiger politischer Interessen zu degradieren. Dabei täte der Westen, der ihrer Ansicht nach an der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Armeniern und Türken große Verantwortung trage, gut daran, Wege für einen Dialog zu öffnen.”

http://www.faz.net/s/Rub28FC768942F34C5B8297CC6E16FFC8B4/Doc~E9F4F93390DD44F91A11C82AD03CB2081~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Um die Geschichte zu verstehen, bedarf es keiner Gesetze.

Kommentar von Archivar am 29. Oktober um 23:25 Uhr

Ich finde diese Diskussion geht am eigentlichen Kern vorbei.
Niemand kann von sich behaupten der alleinige Inhaber der einzigen Wahrheit über einen Sachverhalt zu sein. Wer das tut, der diktiert die öffentliche Meinung.
Weiterhin ist es unerheblich wer einen Sachverhalt hinterfragt, seine politische Gesinnung darf dabei keine Rolle spielen. Und genau das ist auch das Problem in der deutschen Öffentlichkeit. Wenn ein so genannter Rechter eine Kritik an der Obrigkeit äußert wird das sofort nieder getrampelt, ob er event. dabei der Wahrheit gesagt hat interessiert dabei nicht mehr. Wir sollten uns doch endlich mal abgewöhnen alles was uns nicht paßt mit der Rechtsradikal- Keule neider zu schlagen.

Kommentar von DaRockwilda am 29. Oktober um 23:53 Uhr

^^Zustimmung

Kommentar von Archibald am 30. Oktober um 11:58 Uhr

In Unkenntnis der Deutschen Realität: Darf in Deutschland etwa der Holocaust geleugnet werden? In der Schweiz steht dies unter Strafe.

Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern ist sehr problematisch:
Bis Juli des Jahres wurden die Armenier in ihren Hauptsiedlungsgebieten an sieben Orten konzentriert. Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet oder auf Befehl von Innenminister Talaat ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge oder durch die Wüste Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht um eine Umsiedlung; Talaat hatte den ausdrücklichen Befehl gegeben, [b]„alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten“. [/b]

Warum wird wider besseres Wissen immer wieder behauptet der Völkermord an den Armeniern sie nicht bewiesen?

Kommentar von Archibald am 30. Oktober um 12:04 Uhr

Der Völkermord an den Armeniern ist eine historische Tatsache, anerkannt von allen Ländern ausser bisher von der Täternation.

1909 wurden während eines Aufstandes gegen die seit 1908 regierenden Jungtürken im kilikischen Adana und umliegenden Gebieten 20.000 bis 30.000 Armenier von Aufständischen als angebliche Unterstützer der neuen Regierung ermordet.
Schätzungen zufolge liegt die Gesamtzahl der armenischen Opfer von 1894 bis zum Beginn des Genozids von 1915 bei 200.000–300.000 Menschen.

Am 24. und 25. April 1915 wurden alle armenischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Führer, die sich in Konstantinopel aufhielten, verhaftet, deportiert und später großteils ermordet – insgesamt über 2.000 Personen.

Befehl zur gänzlichen Ausrottung
Talaat hatte den ausdrücklichen Befehl gegeben, „alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich auszurotten“. Etwa 100.000 Armenier überlebten die Todesmärsche, etwa 500.000 gelang die Flucht. Je nach Schätzung kamen etwa 600.000 bis 1.500.000 Armenier um. Hunderttausende Armenier, die den Völkermord überlebten, mussten emigrieren.

Kommentar von Archibald am 30. Oktober um 12:05 Uhr

- Der Großwesir Damad Ferid Pascha gestand am 11. Juni 1919 die Verbrechen öffentlich ein.

- 1920 bezeichnete Kemal Atatürk, der Vater der Türken, den Völkermord an den Armeniern vor dem Parlament als „eine Schandtat der Vergangenheit“. Einem amerikanischen Diplomaten gegenüber ging Atatürk von 800.000 Toten aus und befürwortete eine harte Bestrafung der Täter.

- 20 Länder der Erde haben seit 1965 die Vernichtung der Armenier durch den türkischen Staat in Resolutionen, Beschlüssen oder Gesetzen als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 bewertet.

- Das Europäische Parlament hat mit den Beschlüssen vom 18. Juni 1987 und 15. November 2001 die Anerkennung des Völkermordes durch den türkischen Staat zu einer Voraussetzung des EU-Beitritts der Türkei erklärt und am 28. Februar 2002 in einer weiteren Beschlussfassung die Türkei zur Einhaltung dieser Vorgabe gemahnt.

Kommentar von Archibald am 30. Oktober um 12:10 Uhr

http://www.nzz.ch/2020/10/08/al/newzzET10CBXZ-12.html

Armenien kontert Blochers Aussagen
Umstrittene Äusserungen in Ankara

In der türkisch-schweizerischen Kontroverse um die Leugnung des Genozids an den Armeniern meldet sich erstmals die Republik Armenien zu Wort.

Die Republik Armenien plädiert für die Beibehaltung der Schweizer Anti-Rassismus-Strafnorm, die die Leugnung von Völkermord unter Strafe stellt. Es gehe darum, «ein Signal an frühere und mögliche künftige Täter zu senden», sagte der armenische Botschafter in der Schweiz, Zhorab Mnatsakanian, gegenüber der «NZZ am Sonntag».

Kommentar von DaRockwilda am 30. Oktober um 13:31 Uhr

Deine Mühe ist umsonst. Niemand hier leugnet, dass es den Völkermord an den Armeniern gibt. Und um deine Unkenntnis der deutschen Realität zu bedienen, es ist in Deutschland verboten “Verbrechen des NS-Regimes” zu leugnen wozu auch der Holocaust gehört.

Wie gesagt, niemand hier zweifelt den Holocaust an. Es geht um die elementare Frage, wer anderes als Gott von sich behaupten kann, die ultimative Wahrheit zu kennen und jegliche Möglichkeit auschließen zu können, die dieser Wahrheit entgegenspricht.

Im Übrigen ist es nicht besonders hilfreich, wenn du Behauptungen ohne Quellenangabe aufstellst.

Kommentar von Katrin am 30. Oktober um 14:52 Uhr

Mir fällt bei meinen Besuchen im Blog zunehmend auf, daß hier über geschichtliche Vorfälle (1905 …!)etwas abseits des hiesigen Landstriches diskutiert wird, die zwar nicht vergessen, aber auch nicht zu ändern sind. Wie wärs denn mal mit etwas aktuellem (2006…) aus Deutschland,- denn ich glaube, daß die Probleme und Diskussionsgrundlagen dafür ausreichend vorhanden sind… (und vielleicht auch etwas spannender… ;-)(für einige wie z.B. mich :-))
Ansonsten weiter viel Erfolg..!

Kommentar von josef primzek am 30. Oktober um 15:00 Uhr

@katrin

Darockwilda stellt halt vieles und besonders Autoritäten in Frage.

Tja und für Deutschland fühlt er sich momentan nicht so richtig zuständig (außer, wenn es um die Bundeswehr in Israel geht.)

Und Steve macht halt gerne abstrakte Gerechtigkeitsdebatten.

Dabei haben wir momentan Riesenumbrüche, die Mittelklasse verschwindet, eine Gesundheitsreform breitet sich aus und die Parteien verlieren an Mitgliedern.

Kommentar von DaRockwilda am 30. Oktober um 15:27 Uhr

@Katrin:

Da du gerade in diesem Strang schreibst, beziehe ich mich einfach mal darauf. Diese Diskussion hat sehr wohl einen aktuellen Bezug zu Deutschland, da es auch hier entsprechende Gesetzgebung gibt.

Allerdings muss es dich deshalb ja noch nicht interessieren.

Ich stimme dir völlig zu, dass es hier in Deutschland noch viele weitere aktuelle Probleme gibt. Ich persönlich jedoch kann dafür nicht in dem Maße neues oder unterberichtetes beitragen, wie für die Themen über die ich schreibe. Wenn ich bei einem Thema nicht mehr beitragen kann als eine N-24 Meldung abzutippen dann sehe ich da nicht viel Sinn darin.

Meine Prioritäten liegen nun einmal anders, und deshalb finde ich eigentlich die Idee eines Gemeinschaftsblogs auch richtig, wo viele Prioritäten zusammentreffen. Dass die anderen Autoren nicht so viel schreiben wie ich, dafür kann ich nichts.

Gerne nehmen wir weiter Autoren auf, die über Themen schreiben, die Innenpolitikbezogener sind.

@Josef:

Kannst du dir vorstellen, über die “Riesenumbrüche” zu schreiben ?

Kommentar von Urban am 30. Oktober um 15:50 Uhr

„Zum Recht des Wahrheitssuchenden gehört es, zweifeln, forschen und abwägen zu dürfen. Und wo immer dieses Zweifeln und Wägen verboten wird, wo immer Menschen verlangen, dass an sie geglaubt werden muss, wird ein gotteslästerlicher Hochmut sichtbar, der nachdenklich stimmt. Wenn nun jene, deren Thesen sie anzweifeln, die Wahrheit auf ihrer Seite haben, werden sie alle Fragen gelassen hinnehmen und geduldig beantworten. Und sie werden ihre Beweise und ihre Akten nicht länger verbergen. Wenn jene aber lügen, dann werden sie nach dem Richter rufen. Daran wird man sie erkennen. Wahrheit ist stets gelassen. Lüge aber schreit nach irdischem Gericht!“
Pfarrer Viktor R. Knirsch aus Kahlenbergerdorf (Österreich)

Kommentar von DaRockwilda am 30. Oktober um 16:26 Uhr

Vielen Dank für dieses eindrückliche Zitat.

Kommentar von ravi am 31. Oktober um 12:22 Uhr

Hallo Katrin , Josef , DaRockwilda ! Ich bin auch der Meinung das jemand über Deutschland auch schreiben soll . Themen sind genug vorhanden . Ich denke , es ist richtig das DaRockwilda bei seine Themen bleibt und die anderen andere Themen anpacken , Lara ist z.b best geeignet dafür. MFG Ravi

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